Vom König Glock­ner und sei­nen Untergebenen

Sandra Mastropietro

28. August 2022

-Ein lan­ger Bericht von sehr aben­teu­er­li­chen 110 Kilo­me­tern um den Großglockner-

“Im Leben geht es nicht dar­um zu war­ten, bis das Unwet­ter vor­über­ge­zo­gen ist, son­dern dar­um zu ler­nen, im Regen zu tanzen.”

*Vivi­an Greene

Als ich die­ses Zitat vor eini­ger Zeit las, wuss­te ich nicht, dass es zu mei­nem Man­tra auf der 110 Kilo­me­ter lan­gen Rei­se von Kaprun nach Kaprun wer­den wür­de, dass es mich auf eine eigen­ar­ti­ge Wei­se am 30.07.2022 durch die erbar­mungs­lo­se Stre­cke des Groß­glock­ner Ultrat­rails “tra­gen” wird.

Aber so ist das eben (manch­mal) im Ultrarun­ning, nicht alles ist plan­bar und schon gar nicht erklär­bar. Je län­ger die Distan­zen, je mehr Höhen­me­ter und unweg­ba­res Gelän­de; des­to mehr Aben­teu­er-Cha­rak­ter hat so einen Lauf… 

Ausrüstung für den GGUT

Der Start

Und so ste­hen am Frei­tag­abend, den 29.Juli 2022, cir­ca 300 Aben­teu­er­lus­ti­ge in der Start­box des Groß­glock­ner Ultrat­rail. Mit sei­nen 110 Kilo­me­tern gilt er als einer der här­tes­ten, aber auch schöns­ten Ultrat­rails. Die Stre­cke führt die Teil­neh­mer durch die atem­be­rau­ben­de Hoch­ge­birgs­land­schaft des Natio­nal­parks Hohen Tau­ern, ein­mal um Öster­reichs höchs­ten Berg, den Großglockner…vorbei an 14 Glet­schern und 300 Gip­feln über 3000 Meter rundherum. 

Doch zurück ins Gesche­hen, in die Start­box, zu den Aben­teu­er­lus­ti­gen: jedem ein­zel­nen Teil­neh­mer ist klar, dass nicht alle der 300 Teil­neh­mer das Ziel in dem vor­ge­ge­be­nen Zeit­li­mit von 30 Stun­den errei­chen wer­den, nicht alle 300 wer­den die 110 Kilo­me­ter lan­ge Run­de zu Ende brin­gen können.

Auch ich ste­he um kurz vor 10 Uhr abends in der Start­box, schaue mich um, beob­ach­te müde die Gleich­ge­sinn­ten, Gleich­ver­rück­ten, Kon­kur­ren­ten und unbe­kann­ten Freun­de. Der Regen pras­selt auf uns nie­der, doch nie­mand scheint  es wahr zu neh­men. Zu groß ist der “Tun­nel”, in dem wir uns bereits befin­den. Der Fokus auf die vor uns lie­gen­de Mis­si­on gerich­tet. Ein letz­tes Hin­ein­hö­ren in den Kör­per. Ein letz­tes Selbst-Mut-Zuspre­chen. Ein letz­ter Equip­ment-Check. Tie­fes Durch­at­men, ner­vö­ses Tre­ten auf der Stelle.

Dann der Count­down. Der Start­schuss. Jubel­ru­fe und Glück­wun­sche am Rand, auf den Geh­we­gen der Kapru­ner Innen­stadt. Der Regen. Cir­ca 600 durch­trai­nier­te Bei­ne lau­fen los, bege­ben sich auf die Rei­se Rich­tung Kapru­ner Törl, auf knapp 2000 Höhen­me­ter Anstieg durch die Nacht. 

Eigent­lich…

…lie­be ich Anstie­ge durch die Nacht. Ange­neh­me Küh­le, roman­ti­scher Ster­nen­him­mel, mys­tisch-schei­nen­de Ber­ge im Schein der Stirn­lam­pe — ein glü­hen­der Son­nen­auf­gang als Lohn für die nächt­li­che Stra­pa­ze. Rich­tig: eigentlich. 

Doch wie ich bereits am Anfang sag­te: Nichts ist plan­bar. Und so befin­de ich mich nach weni­gen Stun­den irgend­wo in Mit­ten einer dun­keln, ster­nen­lo­sen Nacht bei peit­schen­dem Regen und star­ken Wind, in extrem schrof­fen und unweg­sa­men Gelän­de, hung­rig und mit mir selbst hadernd; allein mit der Fra­ge nach dem “War­um”.

Wäh­rend mein Kör­per mit der Käl­te und der Näs­se kämpft, zit­ternd ver­sucht, die Tem­pe­ra­tur zu hal­ten, rech­net mein Kopf die Kalo­rien. “Ich muss essen”, sage ich immer wie­der laut zu mir selbst. “Durch die Käl­te ver­bren­ne ich ja viel mehr als sonst” erklä­re ich mir selbst und ver­su­che unge­schickt eine Gel-Packung mit mei­nen Zäh­nen auf­zu­rei­ßen, denn mei­ne Fin­ger sind zu die­sem Zeit­punkt schon zu kalt. Appe­tit­los nucke­le ich die flüs­si­gen Kalo­rien und stel­le ver­wun­dert fest, dass mei­ne Bei­ne ganz von allein wei­ter­ge­lau­fen sind. Wei­ter, immer wei­ter. Mein Unter­be­wusst­sein scheint zu wis­sen: Ste­hen­blei­ben kann in die­ser Situa­ti­on fata­le Fol­gen haben. Wäh­rend die ers­ten Teil­neh­mer um mich her­um ihre Ret­tungs­de­cken aus der Pflicht­aus­rüs­tung fischen und sich die­se wie Super­hel­den-Capes umhän­gen, kra­me ich mei­nen Son­nen­hut um 3 Uhr mor­gens her­aus, plat­zie­re ihn noch unter mei­ner Kapu­ze und über mei­nem Stirn­band. “Über den Kopf ver­liert man die meis­te Wär­me” sage ich aus dem Nichts her­aus zu mir selbst und zu den an mir vor­bei zie­hen­den Läu­fern, doch nie­mand nimmt Notiz von mir — jeder kämpft sei­nen eige­nen Kampf, sucht sich sei­nen eige­nen Weg durch die rei­ßen­den Glet­scher-Bäche und das ver­block­te Geröll hin­auf zum Kapru­ner Törl. 

Oben!

Ganz oben steht die Berg­wacht und feu­ert an, spricht uns Mut zu und wir ihnen Respekt. Es ist etwa mor­gens um 5. Es reg­net immer noch in Strö­men und ab und an ver­irrt sich ein Don­ner­grol­len aus der Fer­ne zu uns. All­mäh­lich wird es hel­ler, ohne Son­nen­auf­gang, aber mit der Hel­lig­keit von Blit­zen oder Wet­ter­leuch­ten aus dem benach­bar­ten Gebir­ge. Nun, sagen wir es so: Die Situa­ti­on hat­te Ihren ganz eige­nen Charme. 

Nach cir­ca 8 Stun­den errei­che ich die 2. Ver­pfle­gungs­sta­ti­on “Rudolfs­hüt­te”. Das heißt, für cir­ca 30 Kilo­me­ter mit etwa 2500 Höhen­me­tern habe ich acht Stun­den gebraucht. Nach 10 Stun­den wäre “Time Out” gewe­sen. Ich lie­ge als gut in der Zeit, zumin­dest ver­hält­nis­mä­ßig und ver­brin­ge fast 45 Minu­ten in der Tro­cken­heit: wech­se­le die Socken, trin­ke hei­ßen Tee und Brü­he, stop­fe Salz­stan­gen und Weiß­brot in mich hin­ein — Haupt­sa­che war­me Flüs­sig­keit, Salz und schnell ver­füg­ba­re Koh­len­hy­dra­te. Ich bin, wie beim Ultra­l­au­fen üblich, sehr mit mir beschäf­tigt und neh­me erst gegen Ende mei­nes Auf­ent­halts wahr, wie “wüst” es um mich her­um aus­schaut. Trä­nen flie­ßen, wil­de Dis­kus­sio­nen mit dem Renn­arzt, blaue Lip­pen, lau­tes Bib­bern und herz­zer­rei­ßen­des Schluch­zen. Wäh­rend ich damit beschäf­tigt bin, mit mei­nen immer noch kal­ten Fin­gern hei­ßen Tee in mei­ne Trink­bla­se zu fül­len, lau­sche ich einem Gespräch zwi­schen dem Renn­arzt und einer Teilnehmerin.

“Wenn Du jetzt, so in die­sem Zustand, da raus­gehst auf die Stre­cke, dann bringst Du nicht nur Dich, son­dern auch ande­re in Gefahr. Das Ren­nen endet hier für Dich…es tut mir leid.”

“Aber, aber, aber….” schluchzt und bib­bert die Frau mit blau­en Lip­pen und wild zu Ber­ge ste­hen­den Haaren… 

Sie ges­ti­ku­liert, doch der Renn­arzt legt ihr beschwich­ti­gend die Hand auf die Schul­ter und schüt­telt reso­lut den Kopf.

Trä­nen bei der Frau, Trä­nen bei mir. Ops, was ist da los? 

Emo­tio­nal…

…füh­le ich mich ent­blößt, muss mit wei­nen, weiß nicht war­um. Viel­leicht, weil auch ich an ihrer Stel­le hät­te sein kön­nen. Viel­leicht, weil der Gedan­ke ans Auf­ge­ben auch bei mir auch plötz­lich so prä­sent ist, viel­leicht weil ein Teil von mir sie benei­det, nicht wie­der raus in den peit­schen­den Regen zu müs­sen, viel­leicht weil mir die Fra­gi­li­tät des Gan­zen durch die sorg­fäl­tig gewähl­ten Wor­te des Renn­arz­tes bewusst wird oder viel­leicht, weil ich rea­li­sie­re, wie vie­le Men­schen dar­an betei­ligt sind, dass wir hier unse­ren Sport sicher aus­üben können. 

Ver­mut­lich ein Mix aus allem. Für einen kur­zen Moment hal­te ich noch inne, genie­ße die Wär­me mei­ner Trä­nen auf den Wan­gen und die Wär­me des Tees in der Trink­bla­se am Rücken, dann stie­fe­le ich hin­aus. Aus dem star­ken Regen wur­de star­ker Nebel. Sicht­wei­te viel­leicht 10 Meter, eher 5. Ich kann es nicht gut schätzen. 

Laut Stre­cken­pro­fil geht es jetzt noch­mals eini­ge Höhen­me­ter nach oben. Dar­an kann ich  mich aber heu­te wirk­lich nicht mehr erin­nern. Zu dicht war der Nebel, zu auf­ge­wir­belt die Emo­tio­nen, zu stark der Fokus auf mei­nem eige­nen Kör­per und die Kon­zen­tra­ti­on auf der Streckenfindung. 

Aber irgend­wann lich­tet sich der Nebel und es ist plötz­lich tag­hell. Ein lan­ger, stei­ler Downhill, sehr expo­niert, erscheint vor mir. Dann setzt der der Grau­pel­schau­er ein. Eini­ge Mit­läu­fer dre­hen sich sofort um und gehen lang­sam rück­wärts, so sehr peit­schen die klei­nen Hagel­kör­ner ins Gesicht. Haupt­sa­che Stre­cke machen, Haupt­sa­che nicht ste­hen­blei­ben. Wei­ter, immer wei­ter. Die Haut schmerzt, mei­ne Fin­ger sind taub.

irgendwo auf der Strecke

Ich zie­he das Cap mei­nes Son­nen­huts tief ins Gesicht, mein Kopf ist wie der eines Stie­res nach unten gerich­tet, bereit zum Angriff kämp­fe ich mich durch Hagel, Grau­pel und star­ken Wind. Wei­ter, immer weiter.

“Im Leben geht es nicht dar­um zu war­ten, bis das Unwet­ter vor­bei­ge­zo­gen ist, son­dern dar­um zu ler­nen, im Regen zu tan­zen.” schießt es mir aber­mals durch den Kopf und ich zie­he Par­al­le­len vom Ultra­l­au­fen zum Leben. Es gibt vie­le, sehr vie­le sogar. Ich habe Gän­se­haut — nicht nur von der Kälte. 

Die Stre­cke

…ist unglaub­lich schön, idyl­lisch und scheint trotz Stre­cken­mar­kie­rung selt­sam “unbe­rührt”. Erha­ben und mäch­tig. Die Ber­ge haben wir Läu­fer stets fest im Blick, oder die Ber­ge uns Läu­fer?! Um uns die Wei­ßen­seer Glet­scher­welt mit ihre vie­len Drei­tau­sen­der Ber­gen, die müde und besorgt auf uns hinablächeln.

Um 10 Uhr errei­che ich Kals, das liegt ziem­lich genau bei Kilo­me­ter 50. Also fast bei der Hälf­te. Zu die­sem Zeit­punkt bin ich seit mehr als 24 Stun­den wach und befin­de mich seit 12 davon auf der Stre­cke. Der Regen hat auf­ge­hört und ich esse einen gro­ßen Tel­ler Nudeln mit Toma­ten­so­ße. Bes­tes Frühstück!

Auf eine eigen­ar­ti­ge Wei­se füh­le ich mich in die­sem Moment unglaub­lich voll­kom­men, zufrie­den und stark. Die Nacht ist über­stan­den. Der Tag liegt vor mir. Von drau­ßen fal­len ers­te Son­nen­strah­len her­ein, die Ber­ge um Kals her­um schei­nen plötz­lich “weich” und ver­söhn­lich. Nur noch 60 Kilo­me­ter. Das schaf­fe ich doch, oder?

Von Kals aus geht es erneut recht steil berg­auf und der Mut, der gera­de noch so bren­nend in mei­nem Brust­korb gepocht hat, scheint schon wie­der zu schwin­den. Die kal­te Nacht hat Spu­ren hin­ter­las­sen. Mei­ne Mus­keln sind müde, müder als sonst, vom Zit­tern, von der Käl­te und dem Hal­ten auf glit­schi­gem Gestein. Die Anstie­ge fal­len mir schwer und ehe ich mich ver­se­he, befin­de ich mich in plötz­lich glü­hen­der Mit­tags­hit­ze und pral­ler Sonne. 

Mein Mund fühlt sich pel­zig an, mein Magen ist ner­vös — zu viel Gels, zu viel Zucker, zu viel Kof­fe­in gegen die Müdig­keit. Zwei­fel zie­hen wie dunk­le Wol­ken, die ich mir nun am Him­mel wün­schen wür­de, durch mei­nen Kopf, nis­ten sich ein. Müdig­keit ver­ne­belt mei­ne Sin­ne. Noch etwa 750 Höhen­me­ter zur nächs­ten Ver­pfle­gung. Die Son­ne knallt so erbar­mungs­los auf  mich her­ab, wie es der Regen zuvor getan hat. Wie kom­me ich nur her­aus aus die­sem “Loch”?

Wei­ter, immer weiter. 

Einen Schritt vor den ande­ren. Mir bewusst machen, war­um ich das Ultra­l­au­fen so lie­be. Ruhe genie­ßen. Gedan­ken ord­nen. Mich “gera­de rücken”. Musik auf die Ohren. Mit­sin­gen. Den Takt mit mei­nen Stö­cken vor­ge­ben. Essen, trin­ken. Links, rechts, links; einen Fuß vor den ande­ren. Wie­der­ho­len. Immer wie­der. Immer wei­ter. Das Leben eines Ultra­l­äu­fers ist ein­fach, der Kos­mos klein. 

Außer­dem ist Ultra­l­au­fen scho­nungs­los ehr­lich. Das gan­ze Gegen­teil zur stän­dig auf­ge­hübsch­ten und schön­ge­re­de­ten Rou­ti­ne des All­tags. Das Ultra­l­au­fen setzt sich über Län­der, Kul­tu­ren und Vor­ur­tei­le hin­weg. Es ist ein­fach da und schreibt sei­ne ganz eige­nen Geset­ze und Geschich­ten. Beson­ders jetzt, in Zei­ten kul­tu­rel­ler Miss­ver­ständ­nis­se, all­ge­mei­ner Ver­un­si­che­rung und reli­giö­ser Kon­flik­te, soll­ten mehr Men­schen Ultras laufen.

So wer­fe einen mei­nen “men­ta­len Anker”, den­ke an Situa­tio­nen im Leben, wel­che ich bereits gemeis­tert habe. Den­ke ich an mei­nen Mann, sei­nen bedin­gungs­lo­sen Sup­port, mei­ne Kin­der, ihre Leich­tig­keit. Mei­ne Freun­de, die am Glock­ner­haus auf mich war­ten, mich unterstützen.

Und da ist sie wieder: 

Die Erkennt­nis, war­um ich das alles mache. Die Ant­wort auf die Fra­ge nach dem War­um. Es ist die Demut, die ich beim Ultra­l­au­fen spü­re — wie­der und immer wie­der. Es ist der woh­lig war­me, mei­ner See­le schmei­cheln­de Sup­port mei­nes Umfel­des, der mich jedes Mal aufs neue ganz tief berührt. Das Rea­li­sie­ren des Mit­ein­an­ders und gleich­zei­tig das “Mit mir allein sein” auf der Stre­cke. Ultra­l­au­fen ist mei­ne Medi­ta­ti­on. Mein “zu mir fin­den”, nach­dem ich  mich im wil­den All­tag immer wie­der zu ver­lie­ren schei­ne. Mei­ne men­ta­le Ent­span­nung. Mein Zen.

Im Rei­nen

Mit mir abso­lut im Rei­nen errei­che ich die Glo­rer Hüt­te und irgend­wann auch das Glock­ner­haus. Ich beschlie­ße für mich, dass ich das Ziel nicht errei­chen muss, um mich als “Sie­ger” zu füh­len. Jeder Star­ter ist ein Held. Jeder hat sein Bes­tes gege­ben, egal wie lang und wie weit er unter­wegs war. Manch­mal ist der Weg das Ziel. So auch beim Groß­glock­ner Ultrat­rail… so bei jedem Ultratrail.

Am Glock­ner­haus war­tet mei­ne Freun­din Nena und mein bes­ter Freund Erni. Bei­de sind so fro­hen Mutes und posi­ti­ver Ener­gie, dass sie mich regel­recht anstecken. 

“Nur noch 35 Kilo­me­ter — Endspurt!”

“Du bringst das Ding nach Hau­se. Ab jetzt mehr run­ter als hoch”, sagen sie und rüt­teln damit neu­en Ehr­geiz in mir wach. Erni beschließt, mich auf die­sem “End­spurt” zu beglei­ten, wäh­rend Nena Nudeln, Eiweiß-Shake und Espres­so in  mich hin­ein­ge­stopft. Trotz wie­der­ge­won­ne­ner Moti­va­ti­on füh­le ich  mich pas­siv. Die Müdig­keit ist mas­siv, der Magen rumort, die Bei­ne zit­tern vor Erschöpfung. 

Doch “kei­ne Gna­de für die San­dra-Wade” scherzt Erni und stie­felt gut gelaunt vor­an­weg. “Los, es gibt noch eini­ge Kilo­me­ter zurück­zu­le­gen bis Kaprun, lass uns kei­ne Zeit ver­lie­ren”, sagt er und treibt mich wie eine Kuh den nächs­ten Anstieg hoch. 

Die Land­schaft um die Pfan­del­schar­te ist atem­be­rau­bend. Stei­nig, rau und erbar­mungs­los. So, wie ich es mag, eigent­lich. Denn gera­de füh­le ich mich zu ver­letz­lich für die raue Land­schaft um mich her­um, für die mäch­ti­gen Glet­scher und tief dunk­len Gesteins­bro­cken. Immer wie­der muss ich gaaaa..nz tief ein­at­men, um mich zu sam­meln, nicht los zu schluchzen. 

Erni hin­ge­gen springt vor mir her und erfreut sich an allem, was um uns her­um zu sehen ist. Ab Kilo­me­ter 80 ist der Lauf ein rei­nes Team­work. Erni moti­viert, ich lau­fe. So schnell ich kann, auch wenn das nicht mehr son­der­lich schnell ist. Der Regen setzt wie­der ein, auch der Wind. Die Kilo­me­ter ver­flie­gen, ich neh­me alle Gescheh­nis­se wie unter Was­ser wahr. Leicht ver­zerrt, wie von außen. Als ob ich einen objek­ti­ven Blick auf mich und das Gesche­hen hätte. 

Die zwei­te Nacht bricht an

Und der Regen treibt die Nackt­schne­cken hin­aus. Erni leuch­tet auf eine von ihnen und sagt: “Schau mal, die ist genau­so schnell wie Du unter­wegs”. Nor­ma­ler­wei­se wür­de ich an die­ser Stel­le lachen, doch ich star­re ihn nur an, rea­li­sie­re nicht, was er sagt — ver­su­che es zu ver­ste­hen, aber der Witz kommt nicht an. “Aber ich hab doch Kla­mot­ten an” mur­me­le ich vor mich hin, bevor er mich kopf­schüt­telnd wei­ter scheucht. 

Inzwi­schen bin ich 24 Stun­den auf der Stre­cke, mehr als 36 Stun­den wach. Jeder Schritt fühlt sich unwahr an, wie im Traum. 

“Erni, das ist jetzt wirk­lich Team­work” mur­mel­te ich und rea­li­sie­re, dass ich ohne sei­nen andau­ern­den, posi­ti­ven Zuspruch ver­mut­lich das Ren­nen nicht been­den wür­de. Die­se Erkennt­nis kommt um kurz vor Mit­ter­nacht an der letz­ten Ver­pfle­gungs­sta­ti­on vor dem Ziel, in Fusch, als ich mir aus Ver­se­hen war­me Sup­pe über die Hän­de kip­pe, weil mei­ne Koor­di­na­ti­on auf­grund des Schlaf­man­gels und der vor­an­ge­gan­ge­nen Käl­te ein­fach nach­ge­las­sen hat.

Erni packt mich an bei­den Schul­tern, rüt­telt mich und sagt: “Reiß Dich zusam­men, Du bist so weit gekom­men, die­se letz­ten 15 Kilo­me­ter wirst Du ja wohl auch noch schaf­fen!” Ich nicke stumm und hef­te mich an sei­ne Fer­sen, so gut es geht. Mein Blick bannt fest auf Erni, der Tem­po wie ein Uhr­werk macht. Ich funk­tio­nie­re, leicht apa­thisch, aber ich funk­tio­nie­re. Mit jedem Schritt steigt die Eupho­rie in mir, das Wis­sen um ein Mög­li­ches Finish. Der letz­te mat­schi­ge Downhill, die Stra­ße nach Kaprun…alles fliegt an uns vor­bei. Der Spre­cher ruft mei­nen Namen, es ist voll­bracht. 28 Stun­den und 12 Minu­ten habe ich gebraucht, um den Groß­glock­ner zu umrun­den. Das ist mehr als ein gan­zer Tag, in dem ich aber gefühlt mehr erlebt und auf­ge­so­gen habe als in so man­chem Monat.

Nena erwar­tet uns im Ziel, schließt uns in ihre Arme. Freut sich, als hät­te sie selbst eine Finis­her- Medail­le um den Hals hängen…und ver­dient hät­te sie die­se. Betreu­en und sup­port­en sind selbst­lo­se Taten, ver­mut­lich sogar anstren­gen­der als selbst lau­fen. Sie spie­geln die gro­ße Mensch­lich­keit wieder. 

Groß­glock­ner Ultrat­rail GGUT

Dan­ke

Dan­ke an Nena, dan­ke an Erni, dan­ke an alle zu Hau­se, die getrackt und mit­ge­fie­bert haben. Dan­ke an den Ver­an­stal­ter und alle Stre­cken­pos­ten sowie Ver­pfle­ger da drau­ßen, es war für kei­nen von uns leicht. Ihr seid Hel­den, wah­re Hel­den. Selbst­lo­se Hel­den ohne Medail­len-Metal um den Hals, aber mit gol­de­nem Herzen. 

Groß­glock­ner, Du warst nicht 110 Kilo­me­ter lang mein Freund, aber sicher 110 Kilo­me­ter lang mein Lehrer.

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