Es treibt mich um, es lässt mich schlaflos.
Kurzum: Mein emotionales “Schutzschild” fiel mit den ersten Kopftüchern im Iran.
#IranProtests
Der Hashtag #IranProtests wurde in den sozialen Medien bislang mehr als 450 Tausend mal benutzt. Das ist grundsätzlich erst einmal gut, richtig?
Aufmerksamkeit, Zusammenrücken, weltweites Mitgefühl …alles Eigenschaften, von denen unsere Gesellschaft eher ein Zuwenig, als Zuviel hat. Und doch scheinen wir uns plötzlich alle einig; unabhängig von Herkunft, Religion und Geschlecht:
Wir solidarisieren uns mit der Bevölkerung im Iran.
Die Geschichte
Ich könnte an dieser Stelle ausholen, die Geschichte des Iran beschreiben, der bis zur Revolution 1979 sehr westlich geprägt war… und dann, ja und dann kam das große Phänomen, das auch wir hier nur zu gut kennen.
Eine unzufriedene Bevölkerung entscheidet sich, um dem vermeintlich großen Übel zu entgehen, in der Hoffnung auf Veränderung, für ein ‑wie wir heute wissen- noch größeres Übel…
Übel, die bislang immer von Machthabern ausgingen, die noch mächtiger sein wollten.
Von Männern, die sich profiliert haben. Die in ihre eigene Tasche gewirtschaftet haben, ihre Belange vor alles andere, vor allem aber vor die der Bevölkerung gestellt haben.
Und so wurde der Iran in den 80iger Jahren also zur Islamischen Republik und trieb seine Bevölkerung tatsächlich somit suggestiv weg von der Religion, hin zur noch größeren Unzufriedenheit.
Rufe nach Freiheit, Normalität und “Öffnung” wurden zuerst überhört, dann erstickt.
Zurück zum Hashtag. #IranProtests.
Für uns nichts besonderes. Für die Menschen im Iran im schlimmsten Fall ein Todesurteil.
Unvorstellbar, oder?
Wie es sich wohl anfühlt, seine Meinung nicht frei äußern zu dürfen?
Kein Recht auf jegliche Selbstbestimmung zu haben? Wir wissen es nicht, zum Glück.
Welch ein Glück, dass ein Umstand, auf den niemand von uns auch nur ein Fünkchen Einfluss hat, uns zu Staatsbürgern freier Länder gemacht hat.
Die jungen Menschen im Iran wissen im Gegensatz zu ihren Großeltern nicht, was Freiheit bedeutet. Sie haben aber sicher viele Geschichten davon gehört.
Was sie geben können…
Und alles, was sie geben können, um für dieses “unbekannte Recht” zu kämpfen, ist ihr Leben. Und das tun sie täglich. Viele Kinder haben ihre Mütter verloren, viele Eltern ihre Kinder.
Ja, der Staat tötet seine eigenen Kinder. Brutal, unkontrolliert und willkürlich.
Die obersten Machthaber halten fest, denn sie wissen: Wenn die Islamische Republik fällt, fallen auch sie.
Warum muss ich jetzt an die französische Revolution denken?
Warum wiederholt sich die Geschichte immer wieder?
Warum sind wir Menschen, angeblich intelligente Lebewesen, nur so dumm, so egoistisch.
Ja: immer wieder kommt es darauf zurück…Egoismus. Machtfanatisch.
Gegenteil
Das ganze Gegenteil dazu: Die Frauen und die gesamte junge Bevölkerung des Irans, die täglich weiter laut ist. Nicht nur für sich, nein, für eine ganze Generation. Für einen gemeinsamen Wunsch.
Es ist schon fast selbstlos, was sie tun. Und es ist mutig. So mutig, dass ich Gänsehaut bekomme, nur wenn ich daran denke. So selbstlos und so stark, dass es mir immer wieder feuchte Augen beschert, wenn ich die Bilder des kollektiven Protests sehe.
Ich bewundere die Frauen und eben auch die Männer, die mit und für die Rechte der Frauen und der jungen Bevölkerung demonstrieren. Ich habe allergrößten und tiefsten Respekt.
Und vielleicht ist auch genau dieser Respekt, den viele von uns offensichtlich verspüren, genau der Grund, warum die Bewegung im Iran zu einer inzwischen weltweiten Bewegung geworden ist.
Vielleicht fragt sich jeder von uns insgeheim, ob auch er/sie den Mut hätte, unter diesen gegebenen Umständen so zu reagieren. Sein Leben täglich neu aufs Spiel zu setzen.
Vielleicht realisiert ein Großteil der hiesigen Bevölkerung durch die Missstände im Iran , dass der Pass des Geburtslandes nichts ist, worauf man proaktiv stolz sein kann… denn der wird einem wortwörtlich mit in die Wiege gelegt. Mit allen Lasten oder eben Freiheiten; es ist ein bisschen wie Glücksrad.
Vielleicht rücken die Proteste im Iran nicht nur den Blick der Welt auf den Großteil der Landesbevölkerung “gerade”, sondern auch die eigene Wahrnehmung über das Miteinander vs. Gegeneinander. Über das Erreichen von Zielen, wenn man gemeinsam an einem Strang zieht.
Über Mut und Courage.
Vielleicht…
Vielleicht sind die Proteste im Iran viel mehr als “nur die Proteste im Iran”. Vielleicht sind sie ein Symbol der Zeitwende. Vielleicht ein Mahnmal für uns alle. Ein Weckruf. Ein Appell.
Eine “Veranschaulichung” des Faktes, dass wir nur zusammen etwas erreichen können. Das Egoismus die Wurzel allen Übels ist. Das die Jungen es sind, die die Welt verändern werden, nicht mehr die Alten.
Ja, die Proteste im Iran zeigen uns einmal mehr, dass der Großteil der Weltbevölkerung das Herz immer noch am sogenannten rechten Fleck hat, dass Wegschauen auf Dauer nichts bringt und das Werte wie Empathie, Solidarität und Zusammenhalt glücklicherweise doch nicht so verkümmert sind, wie es einige Experten prophezeit haben. Und das ist gut!
Lasst uns nicht wegsehen. Lasst uns weiterreden! Lasst uns noch mehr zusammenhalten. Lasst uns wütend sein, wütend auf diese alten, egoistischen und feigen Machthaber.
For Women. For Life. For Freedom
Sandra
Für diejenigen, die es interessiert: Schon 2019, als ich im Iran war, hatte ich ähnliche Gedanken. Hier die Einleitung meines damaligen Textes:
Von Stolz und Vorurteilen
Eine Woche allein mit dem Rucksack durch den Iran
Text: Sandra Mastropietro
Wo Stolz ist, da sind Vorurteile. Und zu viel von beiden war in meinem Kopf und meiner Seele verankert. Heute frage ich mich: Worauf war ich eigentlich stolz? Darauf, in einem freien Land zu leben, in dem das Gesetz die beiden, beziehungsweise inzwischen sogar drei Geschlechter, gleich stellt? Herzlichen Glückwunsch, dieses Privileg wurde einem jeden von uns hier wortwörtlich in die Wiege gelegt. Das sollte uns jedoch ausschließlich dankbar und nicht stolz machen. Aber ich schweife ab, denn dieser Artikel soll keine Grundsatzdiskussion darstellen. Nein, es erwartet Sie weder ein Frauenrechts-Artikel, noch eine politische Meinungsbildung. Was folgt, ist der Reisebericht einer allein reisenden Frau durch den Iran. Diese Frau bin ich. Und ich möchte Sie an die Hand nehmen und mit Ihnen die Reise nach Persien antreten; den vermutlich 1001 Vorurteilen zum Trotz.
Rumi, einer der bedeutendsten persischen Dichter, sagte einmal: „Jenseits der Vorstellungen von Richtig und Falsch liegt ein Ort. Dort werde ich Dich treffen.“ Doch was ist richtig und was ist falsch? Plötzlich sind da Fragen über Fragen in meinem Kopf, als die Anschnallzeichen der Air Iran Maschine aufblinken. Wir befinden uns im Landeanflug auf Shiraz, eine Stadt im zentralen Süden der Islamischen Republik Iran. Was mich dort erwarten wird, das weiß ich nicht und ehrlich gesagt habe ich auch keinerlei Vorstellungen davon. Was ich jedoch habe, ist ein mulmiges Gefühl. Und wenn ich ehrlich bin und den Stolz weglasse, dann hatte ich vielleicht auch ein bisschen Angst. Angst vor dem Unbekannten, Angst vor dem Regime, Angst vor bösen Männern und vor Frauen, die nur aus Augen, Händen und schwarzen Stoff bestehen.
Mit einem lauten Rumpeln setzt die Maschine auf iranischem Boden auf. Als wir zum Stehen kommen, beginnt allgemeines Gewusel. Die Türen öffnen sich in eine mir unbekannte Welt. Nervös wickele ich das lange Tuch aus dem Handgepäck mehrmals um meinen Kopf, verbanne jede Haarsträhne und streife meinen langen Strickmantel trotz wohliger Wärme über. Laut Scharia, dem islamischen Gesetz, müssen Frauen in der Öffentlichkeit alle Körperteile bis auf Hände, Füße und Gesicht bedeckt halten. Das Gesäß muss doppelt bedeckt sein. Die aufsteigende Nervosität erstickt alle Frauenrechtsgedanken im Keime. Ein Feuerwerk der Gefühle und Gedanken, während ich mich unsicher in Richtung “Immigration” bewege. Googled man nämlich “Einreise Iran”, liest man die wildesten Dinge. So suchen meine Augen nach bewaffneten Männern, der berüchtigten Sitten-Polizei und finstergesichtigen Mullahs, welche mich vermutlich überwachen werden und bei der erstbesten Gelegenheit ausweisen. Doch so sehr ich auch suche, ich werde nicht fündig. Herzlichkeit erfüllt die Ankunftshalle; Szenen der Wiedersehensfreude sowie ein buntes, geschäftiges Treiben.
Das “Welcome to Iran Madam” des Grenzbeamten reißt mich aus meiner Verwunderung.
“Welcome to Iran” ruft auch eine Gruppe verhüllter Mädchen und winkt mir freudestrahlend zu. Ich winke zurück. Anmutig kommen sie auf mich zu, fragen höflich, ob Sie mir helfen können. Wenig später stehen wir gemeinsam in einer Wechselstube und ich lausche den fremdartigen Klängen der persischen Sprache, frage mich, was sie wohl so angeregt mit dem Bankier diskutieren. Die Antwort folgt prompt: Ich solle hier nicht mehr als 5€ wechseln, der Kurs sei zu schlecht. Ich tue wie mir geheißen und lasse mich anschließend von Sada, Yara und Amira in ein gelbes Taxi setzen. Mit wenigen Worten instruieren Sie den Fahrer, umarmen mich herzlich und schon düse ich Richtung Innenstadt. Beschämt. Nicht, weil ich als Frau in einem Land unterwegs bin, in dem die Scharia die Rechte als Frau stark einschränkt, sondern weil ich abwäge, ob ich überhaupt schon 15 Minuten meiner Lebenszeit proaktiv für Touristen “geopfert” habe. Die Frage, wann ich einen von ihnen “Welcome to Germany” begrüßt habe, verwerfe ich schnell, zu schmählich wäre die Antwort. Und während meine Augenwinkel die karge Landschaft wahrnehmen, registriert meine Nase eine wunderbare Mischung aus Orangen und Rosenwasser. Ich bin im Iran, in Shiraz, der Stadt der persischen Dichter und Denker. Sechs Tage habe ich Zeit, um in die circa 1000 Kilometer nördlich gelegene Hauptstadt Teheran zu gelangen. Wie, was, wo und wann; das weiß ich noch nicht. Ich habe keinen Plan, will mich treiben lassen. Das Land und die Leute erleben, mich durchfragen, mit den Einheimischen essen und ganz viel Tee trinken und Bus fahren. Glück und Abenteuergeist durchfluten meinen Körper, meine Lippen formen unweigerlich ein Lächeln. Mut steht am Anfang, Glück am Ende, denk ich noch. Dann schlafe ich zu den stetigen Ruckeln des Shirazer Rush-Hour Stop and Gos ein.