Teil 1: Ira­ki-Kur­di­stan 2023 — Über das War­um und wieso

Sandra Mastropietro

21. April 2024

“Die bes­ten Rei­sen im Leben sind die, die Fra­gen beant­wor­ten, die du gar nicht gestellt hast.”

*Rich Ridgeway

Ich habe ein­mal gele­sen, dass Schmerz über die Dau­er der Zeit sei­ne äußer­li­che Form ver­än­dert. Dass Trä­nen ver­eb­ben und Wun­den auf­hö­ren zu blu­ten. Und dass so mit jedem Tag ein Stück­chen mehr der opti­schen Nor­ma­li­tät her­ge­stellt wird. Eine Nor­ma­li­tät, die sicher nie wie­der so sein wird wie vor den Trä­nen und vor dem Blut.

So ver­än­dert sich nicht nur Schmerz im Lau­fe der Zeit, son­dern auch der Sinn man­cher Ereig­nis­se. Weil Ereig­nis­se wie Land­schaf­ten sind: Sie wan­deln sich je nach Stand­punkt, von dem man sie aus betrach­tet. Und so wird, da wo Schmerz ist, gleich­zei­tig auch immer wie­der Hoff­nung gebo­ren. Und von die­ser Hoff­nung sol­len mei­ne nach­fol­gen­den Zei­len han­deln. Und Ant­wor­ten auf Fra­gen geben, die nie­mand gestellt hat.

Wie alles begann:

“Die Ach­se des Bösen”, “Pul­ver­fass Naher Osten” und “Ter­ror-Alli­anz” waren Begriff­lich­kei­ten für das Gebiet der ara­bi­schen Welt, mit denen ich auf­ge­wach­sen bin. Doch auf Rück­fra­gen, was genau damit gemeint sei, konn­te mir nie­mand so rich­tig Ant­wort geben.

“Da unten ist immer Krieg”, “die schie­ßen sich die Köp­fe weg” und “selbst ihre Kin­der schi­cken sie an die Front.” wur­de mir erklärt. Das Fra­ge­zei­chen, das Unver­ständ­nis und auch die Neu­gier wuch­sen mit jedem Gespräch der Erwach­se­nen über eben­die­se Regi­on, das ich als Kind verfolgte. 

Von Fra­gen, auf die es kei­ne Ant­wor­ten gab

Wer oder was sind Mul­lahs? War­um müs­sen sich Frau­en ver­schlei­ern und wie­so soll­ten Men­schen einer Regi­on kol­lek­tiv böse und nie­der­träch­tig sein?

Viel­leicht waren es die feh­len­den Ant­wor­ten und die offen­sicht­li­che Beklom­men­heit, mit wel­cher in mei­nem Umfeld über den dama­li­gen Nah­ost-Kon­flikt gespro­chen wur­de, aber bereits damals ver­kün­de­te ich bei einer Fami­li­en­fei­er mit stolz­ge­schwell­ter Brust und Ent­de­cker­geist in der Stim­me: “Wenn ich mal groß bin, rei­se ich dort hin und schaue mir die­se Mul­lahs und die­sen Sad­dam mal ganz genau an.”

Zuerst betre­te­ne Stil­le und Apa­thie, bis mir nach einer gefühl­ten Ewig­keit ein ver­le­ge­nes Geläch­ter ent­ge­gen­schlug, gefolgt von einem Kom­men­tar­ge­wirr aus: “Bis du groß bist, haben die sich da unten schon weg­ge­schos­sen” und “…dann wer­den sie auch Dich gefan­gen neh­men und töten.” Anschlie­ßend wur­de das The­ma gewechselt.

Cir­ca 25 Jah­re später

Eine Sze­ne aus mei­ner Ver­gan­gen­heit, die mir merk­wür­dig leben­dig vor­kommt, als ich gut 25 Jah­re spä­ter den Flie­ger nach Erbil im Nord­irak besteige. 

Mein Ver­spre­chen von damals, den Mitt­le­ren und Nahen Osten zu berei­sen, hat­te ich bereits vor Jah­ren ein­ge­löst und füt­ter­te mit jeder erneu­ten Rei­se in das ehe­ma­li­ge und aktu­el­le Kri­sen­ge­biet mei­ne Begier­de nach unkon­ven­tio­nel­len Erlebnissen. 

Das Puz­zle komplettieren

Es gefiel mir, wenn die Welt um mich her­um anders roch, anders schmeck­te, anders klang und sich gar anders anfühl­te. Und so web­te ich im Lau­fe der ver­gan­ge­nen Jah­re mei­nen eige­nen Wand­tep­pich aus Ein­drü­cken und Erfah­run­gen, aus Begeg­nun­gen und Gesprä­chen, aus Geschmä­ckern und Gerü­chen und fand zuneh­mend Gefal­len dar­an, mein unvoll­kom­me­nes Selbst in die Unvoll­kom­men­heit der Welt fal­len zu lassen.

Genau die­ser Unvoll­kom­men­heit zum Trotz begann ich ‑fern­ab vom Schön­heits­stan­dard der rest­li­chen Welt- ein Gefühl der per­sön­li­chen Voll­kom­men­heit zu erlan­gen, das man nur aus vor­an­ge­gan­ge­nen Mut, schlüs­si­gen Ant­wor­ten, ein­zig­ar­ti­gen Begeg­nun­gen und wun­der­sa­men Erfah­run­gen erlan­gen kann. 

Plötz­lich ver­stand ich, dass ein erfüll­tes Leben nie­mals am Stan­dard von fes­seln­den Kon­ven­ti­on und nach-außen-geleb­ten-Wohl­stand gemes­sen wer­den kann, son­dern an der Inten­si­tät der Erleb­nis­se, aus denen es sich zusam­men­setzt, aus den Begeg­nun­gen und dem Miteinander. 

So kom­plet­tier­te sich mein einst lücken­haf­tes Welt­bild mit Puz­zel­tei­len aus grell­bun­ten Far­ben, extra­va­gan­ten Nuan­cen von abs­trak­ten Grau­tö­nen sowie unver­gleich­li­chen Stil­ele­men­ten der Begeg­nun­gen, in der mei­nes Erach­tens noch die Kom­po­nen­te des Iraks fehlte.

Aus­blick:

Wie es mir dort ergan­gen ist, was ich alles erle­ben durf­te und wel­che beson­de­ren Begeg­nun­gen ich hat­te, das berich­te ich im Teil 2 mei­nes Ira­ki-Kur­di­stan 2023 Artikel.

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