Gren­zen ver­scho­ben, mensch­lich gewach­sen: Unser Aben­teu­er beim Eiger Ultra Trail E250

Sandra Mastropietro

28. Juli 2024

Lie­ber Lese­rin­nen und lie­be Leser,

In den letz­ten Jah­ren habe ich mir immer wie­der neue Her­aus­for­de­run­gen gesucht, die mich an mei­ne phy­si­schen und psy­chi­schen Gren­zen gebracht haben. Egal ob 100 Mei­len Läu­fe, Etap­pen­ren­nen oder selbst­ver­sorg­te Tages­aben­teu­er: Auf die Fra­ge, wie weit ich mei­nen Kör­per und Geist pushen kann, erfuhr ich immer einen gewis­sen Grad an per­sön­li­chem Wachs­tum als Antwort. 

Und genau die­ses Wachs­tum erhoff­te ich mir auch vom Eiger250. Über 250 Kilo­me­ter durch beein­dru­cken­de Berg­land­schaft, tech­ni­sches Gelän­de sowie über vie­le Höhen und Tiefen. 

E250 — rea­dy or not, here we come!

Es ist schwer, die Fas­zi­na­ti­on und Extre­me die­ses Events in Wor­te zu fas­sen, aber ich möch­te es zumin­dest versuchen. 

Fan­gen wir damit an, dass das For­mat die­ses Ren­nen nicht das der Allein­kämp­fer ist, son­dern ein Team­be­werb. Ent­we­der zu zweit oder zu dritt stellt man sich an die Start­li­nie in Grin­del­wald und läuft ins gro­ße Unbe­kann­te. Und so taten es auch Marc und ich, Team #Alway­sUl­tra! 

Mitt­woch­mor­gen, 8 Uhr. Der Start­schuss fällt, und Marc und ich lau­fen los, bereit für das Aben­teu­er unse­res Lebens. Der Eiger Ultra Trail E250, eine Stre­cke, die uns auf schwin­del­erre­gen­de Höhen und durch tie­fe Täler füh­ren wird, liegt vor uns. 

Zuerst geht es leicht berg­ab, dann immer stei­ler berg­auf, in Rich­tung Eiger Nord­wand — der Son­ne ent­ge­gen. Der Anfang einer lan­gen, for­dern­den Rei­se — von der wir weder die Zeit­dau­er noch den Grad an Unbe­kann­ten abschät­zen kön­nen. Wir wis­sen, es wer­den teil­wei­se 10–15 Stun­den zwi­schen den Ver­pfle­gungs­sta­tio­nen lie­gen: eine lan­ge Zeit, um sich selbst zu ver­sor­gen. Eine ver­dammt lan­ge Zeit, falls irgend­was nicht nach Plan lau­fen sollte.

Spoi­ler: Vier Tage, drei Näch­te und unzäh­li­ge Höhen­me­ter spä­ter ste­hen wir sams­tag­nach­mit­tags gegen 17:40 Uhr wie­der an sel­bi­ger Stel­le in Grin­del­wald. Auf dem Start­bo­gen steht jetzt ZIEL. Ein Wort, wel­ches in die­sem Moment grö­ßer als das ist, was unser über­mü­de­ter Geist erfas­sen kann.

Was wir in die­sen fast 82 Stun­den durch­lebt haben, lässt sich schwer in Wor­te fas­sen. Über 260 Kilo­me­ter mit etwa 16.000 Höhen­me­tern, durch alpi­nes Gelän­de, teil­wei­se eisi­ge Tem­pe­ra­tu­ren in der Nacht und drü­cken­de Hit­ze am Tag, haben wir unse­re phy­si­schen und psy­chi­schen Gren­zen bis aufs Äußers­te verschoben.

Das War­um

“Wer ein War­um hat, erträgt fast jedes Wie.” *Nietz­sche

War­um tut man sich so etwas an? Die­se Fra­ge stellt sich nicht nur jedem, der selbst schon ein­mal an einem Ultrat­rail teil­ge­nom­men hat, son­dern vor allem  auch den  Men­schen im wei­te­ren Umfeld, die eher wenig mit (die­sem) Extrem­sport zu tun haben.

Oft wird gefragt, wovor man weg­läuft, wie­so man die­se kras­se Auf­merk­sam­keit sucht… 

Und jedes Mal aufs Neue fin­det man sich vor einer Wand aus Kli­schees und Vor­ur­tei­len, die höher scheint, als jeder Berg. Ver­mut­lich liegt es in der Natur des Men­schen, Erklä­run­gen für das Han­deln der Ande­ren zu suchen und für Din­ge, auf die man selbst kei­ne Ant­wort fin­det, Erklä­run­gen “her­bei­zu­zau­bern” — je ver­meint­lich ver­rück­ter das Han­deln, des­to nega­ti­ver die Schlussfolgerungen.

Nichts­des­to­trotz, auch für Marc und mich ist die Ant­wort auf die­se Fra­ge immer wie­der ein freu­di­ger Dis­kus­si­ons­punkt wäh­rend des Lau­fens gewe­sen, denn das War­um ist ein essen­ti­el­ler Teil der kon­stan­ten Vor­wärts­be­we­gung. Und so kön­nen wir rück­bli­ckend behaup­ten: Jeder Schritt, den wir gemacht haben, jede Stun­de, die wir wach geblie­ben sind, hat uns ein Stück weit mehr zu uns selbst gebracht. Wir sind über uns hin­aus­ge­wach­sen und haben bis­lang unbe­kann­te Gren­zen verschoben. 

Es ist die­ses eine bestimm­te Gefühl, das sich erst am Ran­de der Erschöp­fung ver­nünf­tig wahr­neh­men und sehr schwer in Wor­te fas­sen lässt: Man löst sich von allem, was sich als banal und all­täg­lich her­aus­stellt, und lernt so die Essenz sei­nes Seins kennen.

Der Umgang mit Schmerz

Was jedem Ultra­l­äu­fer klar ist: Kein Ultrat­rail ver­läuft ohne Schmer­zen, und da stellt der Eiger E250 in sei­nen beson­de­ren Extre­men kei­ne Aus­nah­me dar. Bla­sen an den Füßen, Bles­su­ren am Kör­per, ein von Müdig­keit gezeich­ne­ter Geist. 

Man lernt, unter außer­ge­wöhn­li­chen Bedin­gun­gen zu funk­tio­nie­ren und vor allem mit sei­nem Kör­per zu koope­rie­ren, Din­ge zu füh­len und wahr­zu­neh­men, die uns die Schnell­le­big­keit und Bequem­lich­keit des All­ta­ges ver­ler­nen lassen. 

Der Schlaf­man­gel setz­te uns ab Tag zwei über­ra­schend arg zu. In drei Näch­ten schlie­fen wir ins­ge­samt nur 110 Minu­ten. Unvor­stell­bar, nicht nur für alle, denen wir das erzäh­len, son­dern auch rück­bli­ckend für uns selbst!

Wie­so wir das so genau wissen?

Jedes Mal, wenn einer von uns unter dem Lau­fen ein­schlief (ja, es  ist voll­kom­men abstrus, wenn der Lauf­part­ner plötz­lich abdrif­tet und im Gebüsch steht!), gönn­ten wir uns einen “Power­nap” auf den Trails, an Ort und Stel­le. Auf kie­si­gen Forst­stra­ßen oder im feuch­ten Gras auf aus­ge­brei­te­ter Ret­tungs­de­cke. Unse­re Schlaf­hy­gie­ne beim Eiger E250 ist im Nach­hin­ein sur­re­al, aber in die­ser Situa­ti­on genau die Stra­te­gie, die uns unse­re Kör­per als die Bes­te signa­li­siert haben.

Extre­me Bedingungen

Ein wei­te­re Her­aus­for­de­rung waren die Tem­pe­ra­tur­un­ter­schie­de, die uns mit­un­ter schwer zu schaf­fen mach­ten. Wäh­rend wir tags­über in der pral­len Son­ne bei bis zu 38 Grad stun­den­lang dahin­schmol­zen, fie­len die Tem­pe­ra­tu­ren nachts bis knapp über den Gefrierpunkt.. 

Das tech­ni­sche Gelän­de tat sein Übri­ges: Stei­le Anstie­ge, fel­si­ge Abhän­ge und rut­schi­ge Wur­zeln erfor­der­ten unse­re vol­le Konzentration. 

Doch vol­le Kon­zen­tra­ti­on macht müde, vor allem über vie­le Stun­den hin­weg, vor allem an der fri­schen Luft, vor allem nachts… 

Was uns trotz oder gera­de wegen der for­dern­den Umstän­de immer wie­der Hoff­nung gab, waren die Men­schen, die wir unter­wegs tra­fen. Jeder Läu­fer, jeder Hel­fer und jeder Zuschau­er begeg­ne­te uns mit unglaub­li­cher Herz­lich­keit, gro­ßem Inter­es­se und ehr­li­chem Respekt. Jede uns ent­ge­gen­ge­brach­te posi­ti­ve Emo­ti­on bestärk­te uns in unse­rem Glau­ben, das Ziel in Grin­del­wald zu erreichen.

Mensch­li­che Begegnungen

Aus­nahms­los alle, die wir auf die­ser Rei­se tra­fen, waren unglaub­lich freund­lich und bereit, zu hel­fen. Sei es mit einem auf­mun­tern­den Wort, einer hel­fen­den Hand oder ein­fach durch bedin­gungs­lo­sen Zuspruch.

Und nicht zu ver­ges­sen mein Team­part­ner Marc. Uner­müd­lich oder bes­ser gesagt; müde und trotz­dem fest an mei­ner Sei­te; egal ob Navi­ga­ti­ons­pro­ble­me, Kühe nachts, schla­fend auf dem Sin­gle­trail, ein men­ta­ler Tief­punkt oder kaput­te Füße. Er unter­stütz­te mich und fei­er­te mit mir jede klei­ne Etap­pe, die wir hin­ter uns brachten. 

Finish

Und plötz­lich war es da, in Sicht­wei­te: Grin­del­wald. Nur noch einen Downhill ent­fernt. Ein Wech­sel­bad der Emo­tio­nen, Über­for­de­rung mit der Gesamt­si­tua­ti­on. Das Rea­li­sie­ren, dass man tat­säch­lich E250 Finis­her sein wird… ein Klos im Hals, eine gan­zer Stein­bruch, der vom Her­zen brö­ckelt…. gro­ße Gefüh­le. Trä­nen. Die Erfah­run­gen der ver­gan­ge­nen 82 Stun­den haben uns nicht nur an unse­re kör­per­li­chen und men­ta­len Gren­zen gebracht, son­dern auch jeden ein­zel­nen von uns sowie als Team wach­sen lassen. 

Jeder Gip­fel, den wir erklom­men, jede Her­aus­for­de­rung, die wir gemeis­tert haben, zeig­te uns, wozu wir fähig sind, wenn wir uns gegen­sei­tig unter­stüt­zen und an uns glauben.

Müde, schmerz­ge­plagt, aber über­glück­lich – so lie­fen wir schließ­lich gemein­sam ins Ziel ein. Das Gefühl, es geschafft zu haben, die Endor­phi­ne, die durch unse­ren Kör­per ström­ten, das Adre­na­lin: Es war all die Mühen, die Schmer­zen und die Erschöp­fung wert.

Der Sinn hin­ter der Qual

Im Ziel, da war sie dann wie­der, die Fra­ge nach dem War­um. Von allen Sei­ten und auch von uns — an uns. 

Die Ant­wort lag ganz über­ra­schend nicht auf dem hei­ßen Asphalt der Finis­her­Area; Sie lächel­te uns fast schon höh­nisch von der ande­ren Sei­te des Ziel­bo­gens an, den wir gera­de durch­quert hatten : 

Es war nicht das Ziel, das uns immer wei­ter einen Fuß von den ande­ren set­zen ließ, son­dern die Rei­se – die Her­aus­for­de­run­gen und Prü­fun­gen, die uns lehr­ten, wer wir sind und wer wir sein kön­nen. Wir haben unse­re Gren­zen ver­scho­ben und einen Team­ge­dan­ken für immer in unser Herz geschlos­sen, wel­cher aus Schmerz und dem dar­aus resul­tie­ren­den Tri­umph besteht. 

Der Eiger Ultra-Trail E250 hat uns ver­än­dert. Wir sind nicht die­sel­ben Men­schen, die am Mitt­woch­mor­gen aus­ge­bro­chen sind. Wir sind stär­ker, wider­stands­fä­hi­ger und haben eine neue Per­spek­ti­ve auf das Leben gewon­nen. Und viel­leicht ist das der wah­re Grund, war­um wir sol­che Aben­teu­er bestehen – um uns selbst zu defi­nie­ren und zu erken­nen, wozu wir wirk­lich fähig sind.

Eine Anek­do­te am Rande: 

Nach ins­ge­samt 267 Kilo­me­tern, mit blu­ti­gen Bla­sen an den Füßen und zwei gebro­che­nen Zehen, fand ich mich schließ­lich im Ziel auf der Medi­cal-Lie­ge wie­der. Die Ärz­te began­nen, mei­ne schmer­zen­den Füße zu behan­deln, indem sie die Bla­sen auf­sta­chen und die bei­den gebro­che­nen Zehen ruhig stellten.. 

Doch der Moment war zu viel für mei­nen aus­ge­zehr­ten Kör­per und mei­nen völ­lig erschöpf­ten Geist, er gehör­te wohl nicht mehr zur am Mitt­woch begon­ne­nen Rei­se. Noch wäh­rend die Nadel die Haut der ers­ten Bla­se durch­drang, fie­len mir die Augen zu, und ich schlief ein – dort, mit­ten in der Behand­lung, völ­lig über­wäl­tigt von der alles ver­zeh­ren­den Müdig­keit. Es war ein ein­drück­li­cher Moment, der mir zeig­te, wel­che unglaub­li­che Anstren­gung hin­ter uns lag, und doch fand ich in der Ruhe die­ses Augen­blicks die Bestä­ti­gung für das, was wir erreicht haben.

Dan­ke, dass ihr unse­re Rei­se mit­ver­folgt habt. Euer Zuspruch und eure Unter­stüt­zung haben uns unheim­lich viel Kraft gege­ben. Bis zum nächs­ten Abenteuer!

Weitere spannende Artikel

Teil 1: Ira­ki-Kur­di­stan 2023 — Über das War­um und wieso

Es gefiel mir, wenn die Welt um mich her­um anders roch, anders schmeck­te, anders klang und sich gar anders anfühl­te. Und so web­te ich im Lau­fe der ver­gan­ge­nen Jah­re mei­nen eige­nen Wand­tep­pich aus Ein­drü­cken und Erfah­run­gen, aus Begeg­nun­gen und Gesprä­chen, aus Geschmä­ckern und Gerü­chen und fand zuneh­mend Gefal­len dar­an, mein unvoll­kom­me­nes Selbst in die Unvoll­kom­men­heit der Welt fal­len zu lassen.

mehr lesen

Von 42 gol­de­nen Kilo­me­tern durch Prag und einem rund­um gelun­ge­nen Marathonwochenende

Der Prag Mara­thon ist mei­nes Erach­tens ein wahr­li­cher Genuss­lauf. Die Stre­cke führt größ­ten­teils an den Sight­see­ing-High­lights der soge­nann­ten “Gol­de­nen Stadt” vor­bei und gilt als eine der schöns­ten Mara­thon­stre­cken der Welt. Tra­di­tio­nell fin­det er seit 1995 am ers­ten Mai­wo­chen­en­de statt und ist der teil­neh­mer­stärks­te Mara­thon Tschechiens.

mehr lesen